Veröff.: (BELDE, M.: Untersuchungen zur Populationsdynamik von Xanthium albinum an der Mittelelbe. - Braunschweiger Geobotanische Arbeiten, 4: 59-69.)
Zusammenfassung: Xanthium albinum (WIDDER) H. SCHOLZ (Elb-Spitzklette)
gehört zur Familie der Asteraceae. Diese krautige Pflanze ist getrennt
geschlechtig einhäusig. Jeweils zwei weibliche Blüten sind in
einem Köpfchen zusammengefaßt. Zur Reife entwickeln sich daraus
mit widerhakigen Hülldornen versehene Klett“früchte“.
Der Neophyt Xanthium albinum hat sich höchstwahrscheinlich aus
amerikanischen Eltern herausdifferenziert. Seit 1830 ist er in Mitteleuropa
bekannt und hat sich als Stromtalpflanze an den größeren Flüssen,
vor allem am Elbufer eingenischt, wo er häufig in den sandigen Bereichen
der Buhnenfelder vorkommt. Nachweislich tritt Xanthium albinum seit 1947
an der Weser auf und befindet sich dort in Ausbreitung.
Die Untersuchungen im Rahmen dieser Arbeit beschäftigen sich mit
der Keimung, dem Wachstum und der Entwicklung, der Reproduktion sowie der
Mortalität von Xanthium albinum. Des weiteren wurden die Wechselbeziehungen
untereinander und zu anderen Individuen der Biozönose und insbesondere
die Ausbreitung der Elb-Spitzklette untersucht.
Als Annuelle durchläuft Xanthium albinum ihren Entwicklungszyklus
innerhalb von vier Monaten. Sie keimt ab etwa Mitte Mai, sobald die Uferbereiche
trockengefallen sind, innerhalb einer kurzen Zeit. Die Versuche zum Keimungsverhalten
ergaben, daß eine Änderung mit der Aufenthaltsdauer im Wasser
zu verzeichnen ist. Der Keimerfolg ist größer, wenn die Fruchtstände
eine bestimmte Zeit im Wasser gelegen haben. Mit zunehmender Lagerungsdauer
im Wasser verschiebt sich die optimale Keimungstemperatur in höhere
Bereiche. Xanthium albinum hat sich danach an die Hochwasserdynamik angepaßt,
da bei länger andauernden Überschwemmungen auch höhere Außentemperaturen
vorliegen, wenn die Wuchsplätze von Xanthium albinum trockenfallen.
Im ersten Jahr keimt in der Regel nur eine der beiden in einem Fruchtstand
enthaltenen Achänen. Bleibt die zweite Achäne über eine
Vegetationsperiode hinaus lebensfähig, kann sie mit diesem Mechanismus
möglicherweise zum Erhalt der Art unter ungünstigen Bedingungen
beitragen.
Der Photoperiodismus macht die Gattung Xanthium als Untersuchungsobjekt
ebenso interessant wie die Dormanz der zweiten Achäne. Die Blühinduktion
erfolgt für Xanthium albinum unter natürlichen Bedingungen, wenn
die kritische Dunkelperiode von etwa 7,5 Stunden überschritten wird.
Die Fähigkeit zur Selbstbestäubung ermöglicht es der Art,
mit einer einzigen Pflanze eine neue Population aufzubauen. Das Wachstum
der Elb-Spitzklette hängt vermutlich stark von der Wasserversorgung
ab. Dagegen können sie eine kurzzeitige Überflutung ohne gravierende
Schäden überstehen.
Die Keimlingsmortalität von Xanthium albinum in den direkten Uferbereichen
mit guter Wasserversorgung ist aufgrund der großen Keimlinge sehr
gering. An schlecht mit Wasser versorgten Wuchsorten kann es bei ungünstigen
Witterungsbedingungen im weiteren Verlauf der Vegetationsperiode aber zu
großen Verlusten kommen.
Zur Fruchtreife beträgt der Anteil der Fruchtstände an der
oberirdischen Biomasse etwa 50 Prozent. Xanthium albinum entwickelt pro
Individuum im Mittel nur ca. 16 Fruchtstände, maximal wurden an einer
Pflanze 3269 Fruchtstände gezählt. Dieses Individuum hatte innerhalb
der Vegetationsperiode eine Trockensubstanz von 2,3 kg produziert.
In dichten Xanthium albinum-Beständen mit sehr hoher Vegetationsbedeckung
wirkt sich eine größere intraspezifische Konkurrenz durch eine
exponentielle Abnahme der Anzahl an Fruchtständen pro Pflanze aus.
Auch die mittlere Sproßlänge nimmt in solchen Flächen mit
zunehmender Individuendichte an Xanthium albinum-Pflanzen ab. Im Wettbewerb
mit mehrjährigen Arten hat es die Elb-Spitzklette schwer, sich zu
etablieren. Im weiteren Auenbereich gelingt es nur einzelnen Individuen
zu überleben. Dort hat die Art nur in den Senken, die eine längere
Zeit bis zum Ende des Frühjahrs überflutet sind, die Chance,
sich durchzusetzen und kleinere Teilpopu-lationen aufzubauen.
Xanthium albinum wird nicht von Fraßfeinden oder Parasiten verschont.
Sowohl die Laubblätter, das Mark des Stengels als auch die Achänen
werden als Nahrung genutzt. In der Vegetationsperiode 1994 wurde die Elb-Spitzklette
an einigen Wuchsplätzen stark von Cuscuta campestris YUNCK., einem
anderen aus Nordamerika stammenden Neophyten, parasitiert. Der Befall mit
dem Teufelszwirn hat eine verringerte Produktion von Diasporen zur Folge.
Die Ausbreitung von Xanthium albinum erfolgt hauptsächlich epizoo-,
anthropo- und hydrochor. Mit ihren Klettfruchtständen kann sich die
Elb-Spitzklette u.a. in der Wolle von Tieren und Menschen über größere
Entfernungen ausbreiten. So konnte sie vermutlich in verschiedene Stromsysteme
gelangen. Auch eine Ausbreitung an flußaufwärts gelegene Uferbereiche,
z.B. an diejenigen der Elbe, war so möglich. Bei den regelmäßigen
Überschwemmungen der Elbaue wird der größte Teil der Diasporen
vom Wasser erfaßt. Nur ein geringer Prozentsatz verbleibt dabei in
der Nähe des Wuchsortes der Elternpflanzen oder wird mit dem Anstieg
des Wasser-spiegels landeinwärts gespült und dort im Substrat
eingebettet oder zwischen anderen Pflanzenresten abgelagert. Die Mehrzahl
der Diasporen, die durchschnittlich einige Tage lang schwimmfähig
bleiben, werden mit der Strömung flußabwärts ausgebreitet.
Einige Fruchtstände geraten dabei in strömungsberuhigte Zonen,
verfangen sich mit ihren Klettvorrichtungen oder werden übersedimentiert
und so einer weiteren Verdriftung entzogen. Der größte Teil
geht aber durch den Transport im Wasser und der damit verbundenen starken
Beanspruchung verloren.
Xanthium albinum kann rasch neue Wuchsplätze besiedeln, weist
hohe Wachstumsraten auf und durchläuft innerhalb kurzer Zeit seinen
Lebenszyklus. Diese Art kann dichte, hochwüchsige Bestände ausbilden
und produziert wenige Achänen. Aufgrund dieser Merkmale gehört
Xanthium albinum zu den Konkurrenz-Ruderal-Strategen.
Ein einfaches Modell für Xanthium albinum wird dargestellt. In
dieses Modell gehen einige im Rahmen dieser Arbeit erhobene Daten ein.
In der Pflanzensoziologe ist Xanthium albinum die Kennart des Xanthio
albini-Chenopodietum rubri Lohn. et Walther 1950. Dominanzbestände
der Elb-Spitzklette, die im Wendland am Elbufer aufgenommen wurden, gehören
dieser Assoziation an. Die in Senken im weiteren Auenbereich vorkommenden
Dominanz-bestände bilden oft den Übergang zu Flutrasen-Gesellschaften.
Eine Gefährdung der einheimischen Flora, indem sie u.a. seltene
Arten verdrängt, geht von Xanthium albinum nicht aus. Auch ist nicht
damit zu rechnen, daß die Elb-Spitzklette als Ackerunkraut in größerem
Ausmaß in Erscheinung tritt.